© hofschlaeger / PIXELIO
In dieser kleinen Serie von Blog-Beiträgen möchte ich das Thema Konsensbasiertes Entscheiden erläutern und in den nachfolgenden Blog-Beiträgen konsensbasierte Moderations- und Entscheidungsverfahren vorstellen.
Ein Kriterium nach dem ich selbstorganisierte Teams von nicht selbstorganisierten unterscheide, ist, dass die Selbstorganisierten wichtige Entscheidungen im Konsens treffen. Hierzu benötigen jedoch alle Teammitglieder (und natürlich auch alle Leser hier) ein gleiches Verständnis von Konsens.
Was bedeutet Konsens?
Konsens bedeutet nicht,
- dass jeder glücklich mit der Entscheidung ist
- dass faule Kompromisse geschlossen werden
- dass entschieden wird, nur damit etwas entschieden wurde
Konsens bedeutet
- dass niemand einen Einwand hat,
- dass eine Person die Entscheidung verantwortlich mitträgt, wenn sie sich entscheidet, kein Veto einzulegen
- dass für alle die Entscheidung ok ist.
Konsens schaut also auf das Veto, auf den Widerstand. Die typischen Fragen in Entscheidungsprozessen ändern sich also
- von „Wer ist dafür?“ zu „Hat jemand ein Veto?“
- von „Was ist die ideale Lösung?“ zu „Ist diese Lösung brauchbar / gut genug für dich/uns?“
Konsensbasiertes Entscheiden setzt damit das Prinzip des Satisficing um – eine These hinter dem Satisficing ist, dass der Preis, die ideale Lösung für ein Problem zu finden, in komplexen Systemen meist höher ist als der Nutzen, den eine ideale Lösung im Vergleich zu einer brauchbaren Lösung zeigt (ausführlicher beschreibt dies +Ralf Westphal in seinen lesenswerten Artikeln).
In Seminaren und Coachings gebe ich meinen Teilnehmer meist das folgende Beispiel. Ich stelle die Frage „Was ist der ideale Zeitpunkt für Dich zu dem wir morgen beginnen wollen?“ Das Ergebnis sieht meist folgendermaßen aus:
Jetzt wird es also schwierig eine Entscheidung zu treffen, jeder versucht seine Ideallösung zu vertreten. Würden wir demokratisch entscheiden, würden wir 09:00 Uhr als Startzeitpunkt nehmen, schließlich gibt es dort ja eine „Mehrheit“ von 2 Personen. Bei Konsens geht es jedoch nicht um die Ideallösung, sondern um den O.K.-Bereich. Die Frage lautet also: „Was wäre für Dich der O.K.-Bereich, wann wir morgen beginnen?“ Die Antworten sehen dann meist folgendermaßen aus:
Jetzt geht es also darum: Überlappen sich die O.K.-Bereiche? Dann ist die Entscheidung meist schnell gefallen. Oder finden wir keine Überlappung? Dann müssen wir klären, wie wir das Vorgehen ändern können, so dass wir eine Überlappung finden (und hier helfen dann andere Ansätze, wie z.B. die von mir geschätzte gewaltfreie Kommunikation, die vermittelt, wie man die Bedürfnisse hinter dem „Nein“ eines Gegenüber versteht und wertschätzt). Dann geht es also in die Diskussion mit Fragen wie: „Was steht hinter deinem Veto?“ oder „Was müssen wir ändern, damit du die Entscheidung mittragen kannst?“
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Wer konsensbasierte Entscheidungsverfahren mal ohne Risiko ausprobieren möchte, kommt einfach bei mir in einem unserer Führen als Scrum Master Seminare vorbei, die sich auch besonders günstig mit unserem Professional Scrum Training, der Zertifizierungsvorbereitung für den Professional Scrum Master kombinieren lassen.
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Im nächsten Blogeintrag zu dem Thema beschreibe ich einige einfache und schnelle konsensbasierte Entscheidungsverfahren.
Aber jetzt erst mal zu Ihnen: Wenden Sie die Unterscheidung zwischen „Ideallösung“ und „kein Veto“ bereits an? Wenn ja, mit welchem Effekt? Und wie machen Sie dies?
Hallo Markus.
Finde Deinen Beitrag sehr lesenswert, jedoch verwirren mich die Begriffe, die Du verwendest. Das, was Du beschreibst, ist nicht Konsens, sondern Konsent (t statt s am Ende). Dieser Begriff wird auch von Ralf Westphal so verwendet, und das Konsentprinzip ist auch jenes, das von der Soziokratie verwendet wird (siehe z.b. Wikipedia), nicht das Konsensprinzip.
Demnach ist der Unterschied zwischen dem Konsens- und dem Konsentprinzip grob
– Konsens: Alle dafür.
– Konsent: Keiner dagegen.
Anmerkung: Konsens ist ein sehr plattgetretener Begriff, der in unterschiedlichsten Kontexten völlig anders ausgelegt wird, beispielsweise auch als Mehrheitsentscheid. Konsent dagegen ist (zumindest bislang noch) klar umrissen und entspricht dem Bild, dass Du hier gezeichnet hast.
Das Konsentverfahren setze ich nun schon seit einigen Jahren ein als Coach und Trainer. Gruppenbasierte Entscheidungen nach dem Konsentverfahren sind deutlich effektiver und nachhaltiger. Die Ergebnisse werden immer von der ganzen Gruppe getragen, nicht nur von einer Mehrheit. Ich möchte diese Methode nicht mehr missen und lege sie jedem sehr ans Herz.
Danke nochmals für diesen Beitrag und viele Grüße,
Bernd
Hi,
interessanter Ansatz.
Diese Überschneigungsgeschichte erinnert mich ein wenig an Fuzzy Logic.
Ich bin auf die nächsten Posts in der Reihe gespannt.
Hallo Bernd,
über Konsens und Konsent hatten wir ja bereits mal über Twitter diskutiert. Ich verwende hier den Begriff ‚Konsens‘ im Sinne deines Begriffes ‚Konsent‘.
M.E. ist im Deutschen und wohl auch im Englischen Konsens ganz klar als „keiner dagegen“ definiert. Ich erlebe auch nicht, dass der Begriff plattgetreten ist (auch wenn die Menschen nicht direkt eine Definition geben können). Daher ist das für mich noch kein Grund ein Kunstwort wie Konsent einzuführen (das ja von der Soziokratiebewegung kommt).
Also: Inhaltlich sind wir uns wohl einig, Ralf und du reden von Konsent, ich halte erstmal am Begriff Konsens fest – wenn ich diese Diskussion allerdings noch mehrmals führen muss, gebe ich vielleicht auf :-)
Ansonsten findet die Diskussion sehr viel ausführlicher auch hier statt:
https://plus.google.com/102143593570211830360/posts/7GZTWkU6vdx
Viele Grüße und viel Spaß in den USA.
@Christian Baumann: Ich bin jetzt erst mal zwei Wochen in Urlaub, der nächste Blog-Eintrag also in ca. 14. Tagen.
Die Soziokratie geht auf die Art der Quäker ihre Geschäfte zu führen zurück.
Insofern vielleicht ganz interessant zu schauen, wie dort mit den Begriffen und der Realität umgegangen wird.
Nach meinem Verständnis suchen die Quäker in diesem Prozess durchaus die Ideallösung – und vertrauen darauf, dass gerade die Weisheit, die in einem Veto liegen kann, näher zur Ideallösung führt – vielleicht nämlich zu einer ganz anderen Lösung, als bislang angedacht. Ein Schritt zurück, um mehre als zwei Schritte voranzukommen. Es geht also nicht um den Mittelwert, sondern weiter um das Optimum.
Die Quäker würden auch wissen wollen “Was steht hinter deinem Veto?” – vielleicht auch “Was müssen wir ändern, damit du die Entscheidung mittragen kannst?” – eher aber noch, „was ist für Dich richtig?“, denn es kann ja etwas ganz Anderes sein.
Schließlich würden die Quäker Konsens nicht mit Einstimmigkeit, sondern mit Einmütigkeit umschreiben. Das bedeutet, dass keinesfalls alle übereinstimmen oder mit einer Entscheidung glücklich sein müssen. Sie akzeptieren sie aber nach dem Gruppenprozess als Entscheidung der Gruppe, insofern als sie sich nicht im Dienste der Wahrhaftigkeit gezwungen gesehen haben, ein Veto (=ich bin derzeit sicher, so dürfen wir gemeinsam nicht weitergehen). Dabei kann es jedoch abgestufte Formen des „Beiseitestehens“ geben – im extremsten Fall bis zu dem Punkt, dass ein Gruppenmitglied sich zwar weiterhin als solches fühlt, aber bei der Umsetzung des Beschlusses nicht mitwirkt. Er ist dann sozusagen „Verweigerer aus Gewissensgründen“ – aber ohne die eigene, innere Gewissheit, die ganze Gruppe mit seinen Bedenken abhalten zu müssen.
Das Ganze beruht natürlich auf einem hohen Maß an Ernsthaftigkeit und Engagement für die Gruppe. Es hat die Quäker historisch an vielen Stellen (auch im Business) schneller als ihre Umgebung gemacht.
Auf bald mal
Björn
Hallo Björn,
danke für den Hinweis auf die Quäker, den Zusammenhang kannte ich noch nicht. Ich teile, was Du schreibst: Ernsthaftigkeit und Engagement für die Gruppe sind entscheidend, die Konsens-„Verfahren“ helfen auch nicht weiter, wenn viele Teammitglieder dies nicht teilen.
In den nächsten Blog-Einträgen stelle ich auch „abgestufte Formen des Beiseitestehens“ vor.
Freue mich, dich hier zu treffen (bisher kenne ich dich ja nur als Moderator der Gewaltfreie Kommunikation Gruppe bei XING).
Gruß, Markus
Hallo Markus, ich stimme Bernd Schiffer und seiner Argumentation zu. Darüber hinaus würde ich auch deshalb empfehlen den Begriff Konsent trennscharf zu verwenden, damit Deine wertvollen Einträge bei einer gezielten google Suche nach eben diesem Begriff auch tatsächlich gefunden werden. Wenn Du Konsens verwendest, geht das bei google unter. Ich plädiere auch dringend dafür, dass jemand für die Definition des Konsent-Verfahrens einen Eintrag bei wikipedia anlegt – und frage mich warum das die Soziokraten bis heute nicht geschafft haben…
Gruß nach Norden
Ludwig
Danke für die tolle Diskussion, meine Herren!
Dank Ihnen weiß ich nun, dass es neben Konsens auch Konsent gibt. Letzterer scheint mir deutlich praktikabler und zielführender zu sein.
Egal ob Konsens oder Konsent scheint es mir bei Ihnen immer nur um bewusste Entscheidungen zu gehen. Meines Erachtens fallen aber die meisten unserer Entscheidungen unbewusst. Stichwort: Gute Ideen setzen sich schneller durch!
Wir haben versucht unsere Gedanken in einem Artikel zusammenzufassen:
http://apliki.de/2015/11/02/impliziter-konsens-zeigt-die-zukunft-fuer-erfolgreiche-entscheidungen/
Was halten Sie davon?