
© hofschlaeger / PIXELIO
Im letzten Blog-Eintrag hatte ich geklärt, was ich mit Konsens meine und kurz begründet, warum diese Art zu entscheiden für selbstorganisierte Teams (wie z.B. Scrum-Teams) wichtig ist.
Wie kann ein Team oder sein Moderator/Scrum-Master nun Konsensentscheidungen herbeiführen?
Da eine Konsensentscheidung auf den Widerstand zu einem Vorschlag schaut, ist die einfachste Moderationstechnik, die ich kenne, die.
Veto-Abfrage
Nachdem der Vorschlag, über den zu entscheiden ist, nochmal klar formuliert und vielleicht sogar visualisiert wurde, frage ich als Moderator: „Hat jemand ein Veto, dass wir so vorgehen? Falls ja, bitte melden.“
Die Veto-Abfrage geht sehr schnell und betont, dass uns in diesem Moment nur interessiert, ob ein Konsens zustande kommt oder ob eben ein Veto vorhanden ist.
Wichtig ist, den Teammitgliedern ausreichend Zeit zu geben, ihre Position zu überdenken und bei körpersprachlichen Hinweisen ggf. nachzufragen: „Markus, du scheinst noch nachzudenken, brauchst Du noch Zeit?“
Die Veto-Abfrage eignet sich
- bei erfahrenen Teams, die diese Entscheidungsart kennen – ich als Moderator möchte sicher sein, dass die Teammitglieder wissen, das sie die Entscheidung mittragen, falls sie kein Veto einlegen
- bei vermutlich weniger wichtigen Entscheidungen, bspw: „Die Elbfähren sind so laut. Hat jemand was dagegen, wenn ich das Fenster zu mache?“ (Das Team befindet sich sicher in der Storming-Phase, wenn nun eine große Diskussion beginnt :-)
Falls ich als Moderator mehr Sicherheit möchte, dass wirklich jedes Teammitglied bewusst entscheidet, wähle ich typischerweise das Mittel der
Konsensrunde
In einer Konsensentscheidung ist jeder Einzelne ja in die Entscheidung miteinbezogen – die Verantwortung für die Entscheidung wird von dem ganzen Team getragen. Die Konsensrunde macht dies sehr deutlich, indem wirklich jedes Teammitglied auch explizit gefragt wird.
Als Moderator frage ich nach der Formulierung des Vorschlags reihum (also jedes Teammitglied): „Hast Du ein Veto?“ oder „Ist das für dich im O.K.-Bereich?“
Sagt jemand, er habe ein Veto, fahre ich üblicherweise trotzdem mit der Runde bis zum Ende fort. Auf diese Weise weiß man, wer alles ein Veto hat und kann dann strukturiert in die inhaltliche Klärung gehen, d.h. die Hintergründe des Vetos erfragen und gemeinsam überlegen, was es braucht, damit sich das Veto auflöst.
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Im nächsten Blogeintrag zu dem Thema beschreibe ich noch einige weitere einfache und schnelle konsensbasierte Entscheidungsverfahren.
Meine Bitte an Sie: Probieren Sie mal bewusst aus, nach dem Widerstand zu fragen. Nehmen Sie Fragen wie „Hat jemand etwas dagegen, dass … ?“ in Ihren täglichen Sprachgebrauch auf. Experimentieren Sie damit in Moderationssituationen. Und berichten Sie hier von den Ergebnissen.
Den Begriff „Veto“ finde ich im Zusammenhang mit Konsent (deinem Konsens) unpassend. Denn ein Veto erfordert keine Begründung. Ein Veto ist ein Veto ist ein Veto. Jemand sagt schlicht, „Nein, nicht mit mir.“ – und kann anschließend stumm die Arme verschränken.
Dass du das nicht so meinst, weiß ich. Doch wir sind halt Gewohnheitstiere auch in der Sprache. Und da verbinden wir gewöhnlich mit Veto eine solche Haltung. Man schaue nur zu den Vereinten Nationen, die immer wieder durch ein Veto aufgehalten werden, das die Vetomacht nie begründen muss.
Darum geht es aber beim Konsent: zu begründen. In deiner Erklärung scheint das eher eine persönliche Sache des Moderators zu sein, ob und wie er nachfragt. Der soziokratische Konsent jedoch macht es zwingend erforderlich, dass begründet der Konsent verweigert wird. Begründet mit Verweis auf einen Grundsatz derjenigen in der Entscheidungsrunde.
Hallo Ralf,
das ein Veto begründet wird, dem mag ich noch zustimmen. Das dann irgendwer entscheidet, ob die Begründung für ein Veto ausreicht oder wir nur bestimmte Arten von Begründungen für ein Veto zulassen („Verweis auf einen Grundsatz derjenigen…„), davon halte ich gar nichts.
Warum nicht?
Schauen wir uns mal an, was passiert, wenn man die Diskussion über die „Rechtmäßigkeit“ der Begründung startet:
1. Wir schaffen eine Diktatur der Politiker und Rhetoriker: Gewinnen werden die Politiker, die vorab in Einzelgesprächen Allianzen geschmiedet und Strategien abgestimmt haben oder die brillanten Rhetoriker, die es durch ihre Kunst schaffen zu „beweisen“, das der Einwand gut bzw. nicht gut begründet ist.
Stattdessen gebe ich der Gruppe einen Ausweg: Sie kann jetzt über das vermeintliche Sachthema: „Ist das eine gültige Begründung für ein Veto?“ diskutieren.
Unproduktive Monologe in Besprechungen haben wir jetzt allerdings auch schon – das ist einer der Punkte, in denen Konsens auch nicht weiterhilft.
Und was mache ich nun mit einem Veto, ob nun umfangreich, verständlich oder so gut wie gar nicht begründet?
Immer das Gleiche: Ich versuche erst einmal zu verstehen, welche Bedürfnisse den anderen davon abhalten „Ja“ zu sagen. Hier finde ich die gewaltfreie Kommunikation extrem hilfreich. Wenn dieser Kontakt mit dem Veto-Geber und in der Gruppe vorhanden ist, dann kommen häufig erst die wirklichen Begründungen auf den Tisch. Und dann kann man auch Lösungen finden, die für alle funktionieren.
Alles nett, Markus. Wenn du als Moderator so aufgeklärt bist, ein Veto erstmal zu verstehen, dann ist das wunderbar. Aber das ist dein persönliches Ding, wenn du eben ein Veto im Sinne von Veto in ein Verfahren einbaust.
Die Soziokratie kennt den Begriff Veto nicht bei Konsent. Zurecht. Das unterscheidet sie von demokratischen Runden – in denen doch ein Vetorecht existiert. Das unterscheidet sie auch vom Konsens, von dem du dich begrifflich ja auch nicht absetzt.
Ich finde Sprache hier sehr wichtig. Konsens und Veto haben eine lange Tradition – mit der zumindest ich beim Konsent (mit „t“) nichts zu tun haben will. Konsens und Veto beschwören sofort Bilder heraus, Menschen setzen dann ihr Denken auf eine Schiene – und ab geht es in die falsche Richtung.
Da ziehe ich es vor, einen Moment über „Konsent mit ‚t'“ zu sprechen, den etwas anderen Begriff einzuführen und auch ansonsten klar zu machen, dass es nicht um aufgewärmte Demokratie geht.
Wer keinen Konsent gibt, der muss begründen. Ausgangspunkt mag ein Gefühl („Irgendwie traue ich dem Ansatz doch noch nicht…“), aber am Ende heißt es „Butter bei die Fische“: ohne Verweis auf einen Grundsatz, auf etwas Fundamentales gilt ein Einwand nicht („Mit dem Ansatz würden wir unserem Anspruch widersprechen, Jung und Alt gleichermaßen zu bedienen.“)
Wer entscheidet das? Durchaus der Leiter der Runde. Warum nicht. Aber der ist ja ultimativ kein Autokrat, sondern wird aus der Runde bestimmt. Gern durch Konsent. Soziokratische Wahl ist ja auch dein Thema.
Bottom line: Nein, sorry, beim Konsens (mit „s“) und Veto bin ich nicht an Bord.
Hallo Ralf,
ich möchte gerne zu 4 Punkten antworten:
1. Die Sprache (also die Begriffe Konsens und Veto). Wie schon gesagt, beim Begriff ‚Konsens‘ habe ich mit den beschworenen Bildern kein Problem, da scheinen wir einfach andere Erfahrungen zu haben. Bei ‚Veto‘ schaue ich da gerne nochmal genau hin, habe aber auch nichts problematisches im Kopf. Was schlägst Du denn als Begriff für „Ich gebe mein Konsent nicht“ vor?
2. Was meinst Du mit ‚in demokratischen Runden existiert ein Vetorecht‘? In demokratischen Runden (also wenn ich abstimme und die Mehrheit gewinnt), existiert ja gerade kein Veto (solange ich nicht zur Mehrheit gehöre).
3. Zu: „Der Leiter der Runde entscheidet, ob ein Konsent gilt oder nicht.“ Das halte ich aus verschiedenen Gründen für nicht hilfreich. Einen Grund habe ich im letzten Kommentar genannt. Hier zwei weitere:
3a. Nehmen wir mal an, ich bin der (soziokratisch gewählte) Leiter des UN-Gremiums, das über das Verbot von Walfang entscheiden soll (Eigentlich ja vermutlich Aufgabe von Guido W., aber da bin ich gerade nicht sicher, ob mich die Neuigkeiten überholen). Der japanische Vertreter begründet sicherlich in epischer Breite, warum sie ihren Konsent zu einem Walfangverbot nicht geben. Und jetzt soll ich entscheiden, ob dies einem Grundsatz von uns widerspricht? Egal was ich dort entscheide, meine Entscheidung wird wohl nicht von allen Beteiligten getragen werden. Einer konstruktiven Lösung bringt uns das auch nicht näher.
3b. Das ein Konsen(s/t)orientiertes Entscheiden nur geht, wenn der Leiter durch Konsen(s/t) aus der Runde bestimmt wurde, finde ich einfach sehr einschränkend. Ich nutze all diese Mechanismen und bin als Moderator häufig externer Coach/Berater, Kollege oder sogar laut Organigramm oder formaler Führungsverantwortung „Untergebener“. Ich brauche gerade nicht Entscheidungsbefugnis, um konsensorientierte Moderationstechniken anwenden zu können.