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Warum sind Kennzahlen ein Fluch?

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Für verschiedene Zwecke werden in Unternehmen Kennzahlen eingesetzt. Meistens geht es darum, den Erfolg irgendwelcher Entscheidungen und Handlungen zu erleichtern oder zu bewerten. Oft ist das aber kontraproduktiv. Darum geht es in diesem Beitrag.

Kennzahlen, Entscheidungen, Komplex: Was wird gemessen?

Ganz generell bezweifel ich, ob es überhaupt sinnvoll ist, Kennzahlen einzusetzen, um bessere Entscheidungen zu treffen. Denn das würde kausale und lineare Abhängigkeiten voraussetzen: wenn ich etwas bestimmtes tue (entscheide), entsteht eine bestimmte Wirkung. Und ebenso bezweifel ich, ob man mit Kennzahlen Entscheidungen und Handlungen bewerten kann, weil dies ebenso voraussetzen würde, Handlungen und Ergebnisse sind eindeutige Zusammenhänge zu setzen.

Was wird gemessen und beeinflusst?

Ein gängiges Beispiel ist die Handlungsbeeinflussung und Leistungsbeurteilung von Mitarbeitern oder Teams mit Hilfe von Kennzahlen, auf deren Basis dann Prämien oder Gehaltserhöhungen ermittelt werden.

Kann ich einzelne Personen in Beziehung setzen zu bestimmten Leistungen oder Ergebnissen? Natürlich hängt der Erfolg des Unternehmens, eines Bereiches oder eines Mitarbeiters von den Leistungen der einzelnen Personen ab. Aber können wir diese Abhängigkeiten sinnvoll und fair identifizieren?

Ist ein Produkt so erfolgreich, weil die Beschreibung auf der Webseite verlockend ist? Weil es den Kunden begeistert hat? Weil ein Entwickler eine spezielle tolle Eigenschaft zugefügt hatte? Weil die Produktion die Ressourcen genial optimiert hat? Weil ein bereichsfremder Kollege zufällig in einem anderen Kontext dafür geworben hatte? Weil jemand beim Anruf eines Kunden mit einer solchen Aufmerksamkeit und Wertschätzung alle Fragen beantwortet hat, dass sich der Kunde für unser Produkt entscheiden konnte? Weil ein Kunde gerade von Kollegen gehört hat, wie schlecht eine vergleichbare Leistung von einem unserer Mitbewerber erbracht wurde? Weil das Thema, der Markt, die Produktart an sich gerade anzieht? Weil der Vertrieb gerade Preise und Rabatte angepasst hat? Undsoweiter.

Welche dieser 1000 kleinen und großen Handlungen und Entscheidungen werden von der oder den Kennzahlen berücksichtigt? Wie weit lassen sich von bestimmten Kennzahlen Rückschlüsse auf diese 1000 Entscheidungen ziehen?

Natürlich gibt es immer noch Branchen und Aufgaben, in denen die Entscheidungen und Handlungen einzelner direkt und zweifelsfrei mit bestimmten Ergebnissen verbinden lassen. In den meisten Fällen der Software-, System- und Produktentwicklung und auch in den meisten Dienstleistungsbereichen ist das aber kaum noch möglich.

Fazit 1: Die Welt ist zu komplex, als dass Kennzahlen Entscheidungs- und Handlungszusammenhänge erklären oder nützlich beeinflussen könnten.

Wer entscheidet?

Desweiteren bezweifel ich, ob Kennzahlen das richtige Mittel/Konzept sind, um Entscheidungen zu unterstützen. Wenn ich aus einer Kennzahl Entscheidung ableiten möchte, entscheide ich ja gar nicht mehr selbst. Ich wende lediglich eine Formel oder Regel an. Immer dann, wenn wir Entscheidungen halbwegs direkt mit Kennzahlen begründen, haben wir ja nicht selbst entschieden, sondern derjenige der die Kennzahlen und Regeln/Formeln erfunden hat. Wir verweigern uns damit letztendlich der Verantwortung. Die Verantwortung bleibt bei dem, der die die Kennzahlen und Regeln einmal erfunden hatte, der aber den heutigen Entscheidungskontext gar nicht kennen konnte.

Wenn wir beispielsweise den Umsatz eines Mitarbeiters oder Bereiches als Kennzahl nehmen und daraus generell ableiten, wie viel Prämie er bekommen sollte, dann wäre die konkrete Verteilung von Prämien keine verantwortliche Entscheidung, sondern nur die Anwendung einer Formel/Regel. Die Verantwortung bliebe bei demjenigen, der die Umsatzmessung und Ableitung der Prämienermittlung erfunden hat und der entschieden hat, dies im Unternehmen anzuwenden.

Dass im Einzelfall ein Mitarbeiter oder Bereich auf viel Umsatz verzichtet hat, er damit aber anderen Kollegen oder Bereichen ein vielfaches dieses Umsatzes ermöglichen konnte, würde nicht einfließen. Ebenso die zufälligen oder absichtsvollen Unterstützungen fremder Bereiche. Das heißt, möglicherweise sinnvolle Entscheidungen würden von den Kennzahlen nicht gestützt. Und umgekehrt würden Entscheidungen, selbst wenn sie nicht sinnvoll sind, durch diese Kennzahlen provoziert werden können. Wir alle haben von Beispielen gehört, wo ein Mitarbeiter sichere Beauftragungen absichtlich ins nächste Jahr verschiebt, weil er im aktuellen bereits genug Umsatz (oder Kosten) hat.

Fazit 2: Kennzahlen sollten nicht unmittelbar für Entscheidungen verwendet werden.

Und was stattdessen?

Deswegen sind Kennzahlen aber nicht grundsätzlich abzulehnen oder zu ignorieren, wir sollten nur aufpassen und kritisch reflektieren, wie sie unser Verhalten und unsere Entscheidungen beeinflussen. So kann es möglicherweise vorteilhafter sein, statt einer Kennzahl bspw. 10 verschiedene Kennzahlen zu haben, auch oder gerade, wenn sich diese inhaltlich überlagern oder widersprechen. Auf jeden Fall so, dass wir keine unmittelbaren Entscheidungen ableiten können, sondern uns eine eigene Meinung und Interpretation bilden können und müssen, auf Grund derer wir dann entscheiden. Damit blieben wir auch verantwortlich für unsere Entscheidungen und könnten sie nicht auf andere/anderes abschieben.

Und schließlich bleibt die Frage, womit wir Kennzahlen vergleichen, ob und welche auf Kennzahlen bezogenen Ziele wir uns setzen. Das Ziel, den Umsatz um 10 Prozent steigern zu wollen erlaubt meistens keine Rückschlüsse auf die Güte unserer Entscheidungen und Handlungen. Vielleicht erreichen wir den Wert, weil der Markt sowieso gerade boomt und im Vergleich zu Mitbewerbern ist unser Ergebnis eher schwach, d.h. wir haben sogar Marktanteile verloren. Oder wir haben zwar nur 5 Prozent erreicht, aber das in einem widrigen Umfeld und gegen den Markttrend. Was sagt uns dann das Erreichen einer absoluten Zahl? Meistens ist es besser, relative Ziele zu benennen, die sich an externen Faktoren orientieren. Also bspw. wir wollen im Vergleich zu den drei wichtigsten Mitbewerbern eine überdurchschnittliche Umsatzsteigerung erzielen.

Eine andere Situation liegt vor, wenn Kennzahlen auf direkten Vergleichsmessungen mit hoher Zahl von Stichproben beruhen. Wenn beispielsweise A/B-Tests auf Internetseiten laufen, d.h. eine bestimmten Quote von Besuchern eine teilweise andere Internetseite angeboten bekommt und dann gemessen wird, ob diese Alternativseite erfolgreicher ist, also zu mehr Käufen oder Anfragen führt. In diesem Fall sind die Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge sowohl stark reduziert als auch bewusst statistisch relevant gestaltet. Und sie sind (zueinander) relativ messbar.

[Nachträgliche Ergänzung 22.4.2013 13:40 auf Grund des heutigen Kommentars von Hans-Peter Korn, vielen Dank!]: In zyklischen Entwicklungsprozessen wie Scrum, Kanban etc., in denen immer wieder die prinzipiell gleichen Aktivitäten durchlaufen werden lassen sich zumindest ansatzweise belastbar auch bewusst gestaltete Kausalitäten testen. Wenn bspw. eine Arbeitsweise für eine Reihe von Zyklen (Scrum) oder Elementen (Kanban) bewusst variiert wird und dann per Kennzahl Änderungen (Wirkungen) verfolgt werden.

Zusammenfassung

  • Die Welt ist zu komplex, als dass Kennzahlen Entscheidungs- und Handlungszusammenhänge erklären oder nützlich beeinflussen könnten.
  • Kennzahlen sollten nicht unmittelbar für Entscheidungen verwendet werden.
  • Kennzahlen sollten so konzipiert sein, dass sie eine eigene Meinungsbildung und Interpretation erzwingen, bspw. durch Verwendung mehrerer in der Bedeutung überlappende und bewusst uneindeutige Kennzahlen.
  • Relative Ziele mit externen Referenzpunkten sind absoluten Zielen oder internen Referenzpunkten meistens vorzuziehen. 
  • Oder es werden gezielt gestaltete Ursache-Wirkungszusammenhänge statistisch getestet (bspw. mit A/B-Tests).