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Warum eigentlich Feelgood-Management?

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Feelgood-Management (FGM) ist eine relativ junge Disziplin bzw. Rolle in Unternehmen, die von Beginn an sehr kontrovers diskutiert wird. Im Rahmen der Blogparade von Guido Bosbach möchte ich meine Sicht auf das Thema teilen.

Dem Thema FGM können wir uns nicht nähern, ohne das Gegenteil zu betrachten: Was sind denn die Ursachen oder Situationen für schlechte Gefühle auf der Arbeit und eine negative Arbeitsatmosphäre? Jedem von uns fallen sofort einige Beispiele ein: Situationen, in denen der Chef Arbeitsergebnisse geringschätzt, völlig unrealistische Zielvorgaben, fehlende Arbeitsmittel, ungenügende Rahmenbedingungen, kontraproduktive Rahmebedingungen, die Mitarbeiter gegen- statt miteinander arbeiten lassen, unfreundliche Kollegen, abgelehnte oder nicht geteilte Werte etc.

[caption id="attachment_9507" align="aligncenter" width="384"]https://www.flickr.com/people/goincase/ https://www.flickr.com/people/goincase/[/caption]

Symptombekämpfung oder Gestaltung von Rahmenbedingungen?

Der wesentliche Grund für die Kontroverse und reflexartige Kritik zum FGM ist aus meiner Sicht, dass mit Feelgood-Management ein Symptom benannt wird, nicht aber gestaltbare Rahmenbedingungen oder (für Freunde des kausalen Denkens) mögliche Ursachen. Dient FGM also wie eine Schmerztablette zum Einlullen oder aber der Suche, Klärung und Bearbeitung von Demotivationsfaktoren?

Das Dilemma des FGM: Jede einzelne angebotene Leistung von der Rückenschule bis zum Kummerkasten ist ehrenwert, nützlich und gut gemeint. Die Kultur eines Unternehmens verändert sich aber nicht dadurch, dass diese Möglichkeiten angeboten werden. Im Gegenteil, sie könnten ebenso eine miserable Kultur verschleiern. Wer sich schicke Sportschule kauft, wirkt vielleicht sportlicher – tatsächlich sportlicher wird er aber, in dem er beginnt zu Laufen.

Meines Erachtens entscheidet letztendlich die Haltung oder Motivation:

Warum betreibt ein Unternehmern FGM?

Wenn FGM nicht nur einlullen oder die Oberfläche polieren soll, braucht FGM (für sich oder für die Mitarbeiter) Macht im Unternehmen. Die Möglichkeit, auch Unangenehmes und Konflikte in die Unternehmenskommunikation zu tragen. Und die Möglichkeit, auch Rahmenbedingungen zu verändern. Solange diese Möglichkeiten nicht ausgetestet sind, kann man nur der offiziell bekundeten Motivation der vorhandenen Mächtigen glauben oder nicht.

Also: Dürfen Konflikte und Hindernisse offen angesprochen, katalysiert und ernsthaft bearbeitet werden? Oder ist die Grenze schon erreicht, sobald für die Imagebildung nach Innen und Außen ein bestimmter Nutzen erreicht wurde?

Oder ist die grundsätzliche Botschaft, die ein Unternehmen mit der Einrichtung eines FGM sendet, nämlich „Mitarbeiter, ihr seid uns wichtig, wir kümmern uns um euch“ schon an sich erfreulich? Und umgekehrt: verraten wirtschaftliche Begründungen (bspw. Steigerung der Produktivität durch FGM) bereits manipulative Absichten?

FGM als Manipulation und Übergriff

Ist nicht alleine die Absicht, die Gefühle von Mensche ändern oder „managen“ zu wollen, ein Übergriff oder eine Entmündigung? Ist die Vorstellung, das Verhalten oder Empfinden von Menschen gezielt ändern zu wollen und können, überhaupt sinnvoll oder akzeptabel? Wer möchte mit KollegInnen zusammen arbeiten oder Mitarbeiter beschäftigen, die für ihre Gefühle, Glück, Leid etc. vorzugsweise andere (Kollegen oder das Unternehmen insgesamt) verantwortlich machen? Wasch mich, aber mach mich nicht nass?

Insofern sind die zum Wunsch nach FGM führenden Bedürfnisse der Unternehmer und der Beschäftigten interessant: Wird FGM betrieben um Mitarbeiter zu besänftigen, Kritik bequem wegzuleiten, mehr Leistung aus ihnen herauszuholen und mit coolem Image einfacher neues Personal zu „beschaffen“? Oder steckt dahinter der aufrichtige Wunsch, Mitarbeiter gut zu behandeln, die Arbeit und Kultur zu verbessern oder bestimmte spezifische Widrigkeiten (bspw. schnelles Wachstum) zu kompensieren oder angenehmer zu gestalten?

Eine universelle Projektionsfläche...

Der Begriff Feelgood-Management ist eine ziemlich breite Projektionsfläche für alles Mögliche. Hier mal alphabetisch sortiert die populärsten Zuschreibungen:

Arbeitgeberimage, Arbeitssicherheit, Assistenz, Aufgabenkritik, Ausflüge, Bad Book betreiben, Bespaßung, Betriebshund Gassi führen, Bürogestaltung und -möblierung, Burnout-Prophylaxe, Concierge-Services, Demografische Phänomene handhaben, Einführung und –Einarbeitung neuer Mitarbeiter, Einkaufsservice, Entertainer, Eventmanagement, Förderung guter Arbeitsabläufe, Gemeinsames Frühstück, Gemeinsames Kochen, Gemütlichkeit schaffen, Geschlechterrollen-Fragen bearbeiten (Gender), Gesundes Essen, Gesundheitsmanagement, Good-Book betreiben, Interessensvertretung von Mitarbeitern, Interne Kommunikation, Kaffee-Milch-Spezialitäten, Kanutour, Kennzahlen bereitstellen, Konfliktlöser, Konfliktmediation, Kummerkasten betreiben, Lean-/Kanban-Praktiken unterstützen, Lounge-Ecken, Massagen, Mitarbeiterumfragen, Network-Lunches, Obst bereitstellen, Organisationsentwicklung, Organisator, Personalbetreuung, Reflektionen über Arbeitsinhalte und –prozesse, Retrospektiven, Rückenschule, Seelsorger, Sichtbarmachung von Veränderungsbedarfen, Sommerfest, Sozialberatung, Spieleabende, Sportprogramme, Team-Buildung, Unternehmenskultur, Verbesserungsideen sammeln, Vereinbarkeit Familie-Beruf, Verspannungen lindern, Vertrauensmanagement, Vielfältigkeit (Diversity) handhaben, Wäscheservice, Weihnachtsfest, Wohngemeinschaft für Mitarbeiter betreiben.

... und ein Differenzierungsversuch

Um sich nicht in dieser Breite zu verirren, möchte ich mal drei grundsätzliche Motivationen unterscheiden:

1. Oberflächliche und manipulierende Unternehmen:

FGM als taktisches Instrument, die Innen- und Außenkommunikation zu beeinflussen, also unschöne Situationen schön zu reden, von ihnen abzulenken oder sie zu verschleiern. Neben den bewusst manipulierenden Unternehmen sind dies aber auch solche, die dies nicht bewusst anstreben, aber zulassen, billigend in Kauf nehmen oder die naiv genug sind, um substantielle Verbesserungen durch Investitionen in reine Äußerlichkeiten zu erwarten.

2. Fürsorgliche Unternehmen:

FGM als Ausdruck aufrichtiger und selbstverständlicher Fürsorge. Die Aufrichtigkeit ist dabei normalerweise abhängig von den Inhabern des Unternehmens und deren Werten, weswegen inhabergeführte und Familienunternehmen öfter als fürsorgliche Unternehmen wahrgenommen werden.

3. Strukturell gestaltende Unternehmen:

FGM als ein möglicher Baustein bei der bewussten Gestaltung von Rahmenbedingungen und Strukturen, um eine positive Organisationsentwicklung wahrscheinlicher werden zu lassen. Wie bei fürsorglichen Unternehmen ist FGM hier Ausdruck authentischer Kultur, jedoch nicht (nur) aus reiner Fürsorge und Menschenfreundlichkeit, sondern aus der Erwartung von grundsätzlichen Vorteilen aus einem tieferen Verständnis der Funktionsweise von Organisationen.

Ein prinzipieller Unterschied zwischen fürsorglichen Unternehmen und strukturell gestaltenden Unternehmen besteht meines Erachtens darin, wer als Subjekt und wer als Objekt angesehen wird, also wen für wessen Gefühle Verantwortung zugeschrieben wird. Welche Möglichkeiten haben die Mitarbeiter, Ursachen und Rahmenbedingungen selbständig zu ändern? Warum können Mitarbeiter nicht selbst in die Verantwortung für ihre Empfindungen gehen? An statt ein FGM zu installieren, das bspw. die Rahmenbedingungen der Arbeit aufrichtig verbessert, könnte das gleiche aufrichtige Unternehmen doch ebenso auch den einzelnen MitarbeiterInnen vertrauen und ihnen direkte Gestaltungsmöglichkeiten geben.

Oder anders formuliert: soll das FGM dafür verantwortlich sein, die Rahmenbedingungen für Mitarbeiter (unmittelbar) zu verbessern oder soll es (mittelbar) die Mitarbeiterschaft unterstützen, dies selbst zu tun?

Zusätzlich zu den möglichen Motivationen möchte ich abschließend noch ausgewählte inhaltliche Aspekte betrachten.

Ausgewählte Inhaltliche Aspekte

FGM als soziale und gesundheitliche Fürsorge

Es gibt einen FGM-Bereich, der soziale und gesundheitliche Aspekte durch eher äußerliche Maßnahmen adressiert (Gesundes Essen, Rückenschule, Sportprogramme, Bürogestaltung, Concierge-Services etc.). Die Aufmerksamkeit von Unternehmen auf solche Aspekte ist nicht wirklich neu. Eher sind Betriebssport und Hydrokulturen in den letzten Jahren durch beliebtere und zeitgemäßere Maßnahmen oder Begriffe abgelöst oder ergänzt werden. Die sich darin ausdrückende Fürsorge ist in vielen Unternehmen ernst gemeint. Und dazu passt es auch, eine eigene Rolle, Stabsstelle o.Ä. einzurichten.

FGM als Interessensvertretung

Eine glaubwürdige Interessensvertretung von Mitarbeitern setzt eine gewisse Unabhängigkeit von der Geschäftsführung voraus, ebenso wie die organisatorische und unternehmerische Mitgestaltung eine Frage der Augenhöhe ist. FGM als Assistenz oder verlängerter Arm der Geschäftsführung kann zu Interessenskonflikten, Unglaubwürdigkeit und Misstrauen führen. Eine gewisse Unabhängigkeit, entweder in der Persönlichkeit des FGM-Rolleninhabers oder in den Rahmenbedingungen begründet, sind notwendig.

Die grundsätzlichen Schutzbedürfnisse von Beschäftigten, die in gesetzliche und gewerkschaftliche Bereiche fallen und durch asymmetrische Machtverhältnisse praktisch nicht vom Einzelnen wahrgenommen werden können, möchte ich hier mal ausblenden, da FGM hier deutlich weiter gehende Ziele verfolgt und vor allem in solchen Branchen populär ist, in denen aktuell die Beschäftigten am längeren Hebel sitzen.

FGM als Führungs- und Organisationsentwicklungshilfe

FGM kann mit verschiedenen Werkzeugen soziale und kulturelle Fragen und Einsichten vertiefen, bspw. Stimmungs- und Meinungsumfragen, Retrospektiven und Reflektionen über Arbeitsinhalte und –prozesse u.Ä. Hier sind die Rahmenbedingungen relevant: Welche Macht und Unabhängigkeit hat das FGM? Ist es eine Assistenz- oder Stabsstelle der Geschäftsführung, die diese systematisch beim Erkennen eines Fremdbildes unterstützt? Die Mitarbeiter werden genau beobachten, ob und welche veränderten Handlungen und Entscheidungen diese Rückkopplungen bei den Führungskräften bewirken, ob das Interesse sehr selektiv ist oder ob gar Interesse nur simuliert wird.

FGM mit der Intention, das Verhalten von Mitarbeitern gezielt ändern zu wollen, dass bspw. die Mitarbeiter offener, konfliktfähiger, teamfähiger, motivierter oder innovativer werden sollen, wird sehr wahrscheinlich scheitern. Die Grenze zwischen Manipulation, Ausbeutung und Instrumentalisierung einerseits und Coaching und Aktivierung eigener Ressourcen andererseits ist schmal. Um eine fundierte arbeits- und organisationspsychologische Ausbildung, Selbstreflektiertheit und erweiterte Kommunikations- und Coaching-Kompetenzen kommt hier auch das FGM nicht herum. Unsere langjährigen Erfahrungen mit Scrum-Mastern in verschiedenen Softwareentwicklungskontexten zeigen bis heute die Relevanz eines soliden Soft-Skill-Fundaments.

FGM als Kultur-Katalyse oder -Coaching

Für ein schnell wachsendes Unternehmen ist das systematische und vor allem intensive Kennenlernen der Unternehmenskultur und die Einführung neuer Kollegen ein kritischer Aspekt. Koch-Events und Lounge-Bereiche dienen hier vorrangig nicht der Bespaßung, sondern helfen neuen Kollegen, schneller anzukommen, eher Sicherheit zu gewinnen, sich zu integrieren, verbessern die Leistungsfähigkeit und Wachstumsgeschwindigkeit des Unternehmens, reduzieren Opportunitätskosten und helfen, die kulturelle Identität zu bewahren. Nichts ist ernüchternder, als nach den ersten Tagen von seinem Mentor mitzubekommen, dass er selbst noch gar nicht angekommen ist und kaum jemanden kennt.

Kultur wird durch Geschichten geprägt und die finden sich nicht in der Stellenbeschreibung oder im Mission-Statement, sondern in den Anekdoten, Helden- und Desastergeschichten, Mythen und Erlebnisberichten der KollegInnen und des Umfeldes. Möglichkeiten zum Austausch solcher Geschichten sind also Teil des Kultur- und Wissensmanagements.

Feelgood Manager sind also auch Beobachter und Ansprechpartner in Sachen Unternehmenskultur. Eine Kultur wird zwar nicht allein durch Ansagen des Topmanagements oder durch das Einstellen eines Feelgood Managers verändert. Es kann eine bestehende Kultur aber verstärken, sichtbarer und belastbarer machen.

Auch für Unternehmen mit kollegial-selbstorganisierter Führung ist der Kulturaspekt relevant: Diese Unternehmen funktionieren ganz anders. Für Mitarbeiter aus traditionellen Arbeitsverhältnissen ist der Eintritt in solche Unternehmen gewöhnungsbedürftig oder gar ein Kulturschock. Auch hier kann FGM die Funktion übernehmen, die spezielle Kultur sichtbarer und verständlicher zu machen.

FGM als Baustein struktureller Entwicklungen

Resultiert das Schlechtgefühl oder die Demotivation von Mitarbeitern wirklich daraus, dass ein Unternehmen kein FGM leistet und bspw. keine gemütlichen Kommunikationsorte hat? Reinhard Sprenger weist immer wieder darauf hin, dass man Mitarbeiter nicht motivieren kann, dass es extrinsische Motivation gar nicht gibt, dass man allenfalls Mitarbeiter demotivieren kann. Deswegen ist vor allem die Beseitigung von demotivierenden Faktoren sinnvoll.

Viele Demotivationen in unseren Unternehmen resultieren aus dem nicht mehr angemessenen Taylorismus, also der Trennung von Denken und Handeln und der damit kombinierten funktionalen Unterteilung von Organisationseinheiten. Dahinter verbirgt sich die Überzeugung, dass es für jede Aufgabe den einen besten Weg gibt, die Best Practice. Konsequent betrieben entstehen dann je nach aktuellem Problem immer neue Abteilungen und Spezialisierungen: Qualitätsmanagement, Umweltmanagement, Energiemanagement, Kommunikationsmanagement, HR-Management, Talent-Management, Corporate Governance und schließlich auch Feelgood-Management. Diese Management-Funktionen werden vermeintlich als Lösung von etwas betrachtet, sind tatsächlich aber Teil des Problems. Die funktionale Zergliederung unserer Unternehmen führt dazu, dass Abteilungen ohne direkten Kontakt zur eigentlichen Wertschöpfung für sich in Anspruch nehmen, eben diese Wertschöpfung bzw. deren Mitarbeiter zu steuern. Die IT-Abteilung schreibt uns dann vor, mit welchen Arbeitsmitteln zu arbeiten ist und vor allem, mit welchen nicht, an statt die Mitarbeiter aus der direkten Wertschöpfung in der Verantwortung für ihre Arbeit zu lassen und sie lediglich zu unterstützen.

Abschluss

Zumindest wenn FGM mehr als nur unmittelbare Fürsorge sein soll und vor allem die Kultur- und Organisationsentwicklung unterstützen soll, finde ich andere Bezeichnungen passender, bspw. "Company Coach".

Wie ist Ihre Meinung?

Hier noch die anderen Beiträge aus dieser Blogparade: